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Darf ich aufhören zu trauern, wenn ich einen verstorbenen Menschen liebe? - Anja_Weiss - 02-09-2022 In meiner Arbeit als Trauerrednerin erlebe ich öfter in Gesprächen mit hinterbliebenen Angehörigen in ihrer akuten Trauer – also noch vor dem Beerdigungstag – dass sie ein schlechtes Gewissen befällt, wenn sie in diesen Tagen über irgendeine Begebenheit lachen. Es scheint in ihnen ein Glaubenssatz verankert zu sein, der in etwa lautet „Wenn ich meinen geliebten, verstorbenen Menschen wirklich liebe und wahrhaft um ihn trauere, dann darf ich nicht lachen“.
Stimmt das, dass nicht mehr gelacht werden darf? Wer legt diesen Verhaltenskodex fest? Und gibt es tatsächlich eine Formel, die da heißt: „Je größer die Liebe und je tiefer die Trauer, desto verpflichteter bin ich, in eine ständige depressive Stimmung versinken zu müssen?“
In Trauergruppen, sei es bei Live-Treffen, oder aber in den sozialen Medien, scheint die Trauer vieler Menschen, zumindest ihren Aussagen nach zu urteilen, endlos zu sein.
Häufig ist dort zu hören oder zu lesen: „Ich vermisse ihn/sie so sehr, und es wird von Jahr zu Jahr schlimmer!“
Wer das in Frage stellt, gerät leicht ins Abseits und in den Verdacht, verständnis- oder gefühllos zu sein.
Gegenfrage: Würde Ihr geliebter, verstorbener Mensch DAS für Sie wollen?
Und stimmt die Aussage „wenn ich ihn/sie wirklich liebe, trauer ich endlos?“
Für mich drängt sich da die Frage nach dem eigenen Selbstwert auf.
Trauer ist in gewissem Maße eine ganz verständliche Reaktion auf einen bedeutenden Verlust.
Doch eines sollte nicht außer Acht gelassen werden, wie es bereits in der christlichen Tradition heißt: „Liebe Deinen Nächsten, wie Dich selbst!“
Dieses „wie Dich selbst!“ wird gerne vergessen.
Kann es sein, dass von endlos trauernden Menschen, die sich kein Ende ihrer Trauer und kein Lachen mehr erlauben, der verstorbene Mensch in seinem Wert über den eigenen Selbstwert gestellt wird?
Und was wäre, wenn die Seele bestimmt, wann sie ihren Körper verlässt?
Das soll nicht heißen, dass der geliebte Mensch uns freiwillig und gern verlassen hat.
Aber falls die Seele die Chefin ist (und vieles spricht dafür, dass sie es ist), die den Zeitpunkt des Todes selbst frei wählt:
Wäre dann endlose Trauer und unser Gefühl, mit dem Trauern nicht aufhören zu dürfen, nicht mehr lachen und keine Freude und Hoffnung mehr empfinden zu dürfen, nie wieder eine Neuausrichtung im Leben mehr beschließen zu dürfen, wirklich eine angemessene Reaktion?
Sind wir wirklich Opfer des Todes, oder ist das nur eine falsche Glaubensüberzeugung und möglicherweise eine fest verankerte Fantasie?
Nachdenkliche Grüße,
Anja Weiß
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